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Annette Voit



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Annette Voit - In der Rue Vavin blieb ich stehen... Annette Voit - In der Rue Vavin blieb ich stehen,...

31. Mai bis 11. Juli 2008, Mittwoch bis Freitag 16:30-19:30 Uhr, Galerie Foth

...starr vor Bewunderung in den Anblick der transparenten Fruchtpastenherrlichkeiten und des vielfarbigen Blütenflors der sauberen Drops versunken

Endlosschleifen im synästhetischen Erfahrungsraum

Der Einband des Buches, das ich in meinen Händen halte, ist geradezu schlicht. Das Cover der Publikation ziert eine Schwarzweißfotografie, die den Blick in ein karg möbliertes Zimmer erlaubt. Darüber gelegt eine Textpassage, vermutlich aus dem Buch oder mit diesem in Verbindung stehend. Ich blättere um. Es folgt der Titel: "Über das Leben des Harry Haller" und der Zusatz "Aus einem Roman übersetzt von Annette Voit", dann eine Reihe einzeln abfotografierter Gegenstände und Objekte. Ausgehend von der Romanvorlage transkribierte bzw. transformierte Annette Voit die Geschichte in die konkrete Dingwelt.

Die von jeglicher inszenatorischen Ästhetik und Qualität befreiten Fotografien - eine Brille, die Scherbe eines Spiegels, eine Neonröhre oder Staub - erinnern in ihrem repetitiven und einfachen Bildaufbau an Inventare. Und erst die Ausstellungsansicht auf der letzten Seite gibt Aufschluss über deren Präsentation, der zufolge die Gegenstände flattersatzartig auf dem Boden angeordnet waren, ihren literarischen Gehalt und ihre Herkunft darlegend.
Diese faktisch-materielle Gegenständlichkeit hat die Künstlerin mittlerweile gegen eine abstrakte Ungegenständlichkeit eingetauscht; an die Stelle der Objekte sind monochromfarbige Papiere getreten, die wie ein Buch gebunden werden und so ihren ursprünglichen Objektcharakter wahren. Was sich ehemals aus dem fremd geschriebenen Wort speiste, entwickelte sich zunehmend zu einer unmittelbar persönlichen Auseinandersetzung.

So funktionieren Annette Voits Buchobjekte auf eine Art wie selbst geschriebene Romane, die einerseits voller persönlicher Erzählungen, gesammelter Eindrücke sowie gelebter Stimmungen stecken, andererseits Gefühle und Erinnerungen beim Betrachter evozieren und transportieren. Die Farbtafeln innerhalb dieser Buchobjekte, die Farbzuordnungen, gehorchen demzufolge weder farbtheoretischen Gesetzmäßigkeiten noch orientieren sie sich an harmonischen Farbklängen. Vielmehr assoziativ und emotional sind die Farbfolgen und machen die Versuche einer verbalen Beschreibung den künstlerischen Ansatz und Anspruch Annette Voits deutlich: so folgt "dumpf schweigendes Dunkelgrün" auf "lauwarm-speckiges Seichthellblau" und "Nussweiß".

Bei den hier ausgestellten Buchobjekten zu den Städten Stuttgart, dem polnischen Lodz sowie Lviv in der Ukraine handelt es sich um eine Art Tagebuch-Trilogie in Form von Stadtporträts. Schon beim Anblick der Bücher fallen die unterschiedlichen Farbklänge auf, beim Durchblättern dann die abweichenden Oberflächen. Mal spröde und pastos, dann wieder glänzend und lasierend beschreiben Horizontalen oder Vertikalen das Papier, einzelne Pinselspuren erkennen lassend oder verdeckend. Zur Ästhetik tragen auch die verwendeten Papiere bei. Während herbstliches Dunkelrot, schweres Büttenpapier tränkt, spürt man den Wind in einem beigegrauen Transparentpapier. Mitunter streut Annette Voit allerdings auch objet-trouvés in Form einer bedruckten Plastiktüte oder einer knallorange farbigen Lackfolie ein.

Die Materialität des Papiers in Verbindung mit einem bestimmten Pigment und Farbauftrag, die Textur der Papieroberflächen spielen mit dem sie umgebenden Raum, reflektieren und doppeln ihn an einer Stelle, um ihn an anderer Stelle zu absorbieren und schwammartig in sich hinein zu saugen. Dieses Ab- und Wiederauftauchen an die Oberfläche erinnert an Vorgänge beim Lesen eines Buches. An manchen Stellen hebt der Leser den Blick, richtet ihn leer in die Ferne und noch weiter, um eben dort hinab zu gleiten, wo sich die Augen gerade entfernt haben. So hängen auch Auszüge aus den Buchobjekten in Form einzelner Farbpapiere exemplarisch an den Wänden und funktionieren wie eine Art Fenster in eine andere Realität.

Annette Voit wurde 1969 in Heidenheim/Brenz geboren. Nach einem Studium der Kunstgeschichte studierte die Künstlerin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Farbe stand schon immer im Mittelpunkt ihres künstlerischen Interesses. Sie bildet Voits Inventar und ist in erster Linie Ausdruck einer Suche nach sowie der Auseinandersetzung mit der Generierung von Sprache jenseits ihrer verbalen Begrifflichkeit sowie der Erzeugung figurativer Bildvorstellungen unter Verzicht bloßer Abbildhaftigkeit.

Was geschieht, wenn sich eine Geschichte jenseits der Sprache erzählt, wenn Erlebnisse und Eindrücke weder sprachlich noch bildlich die Gegenständlichkeit verkörpern, die ihrer Natur entspricht? Was, wenn wir zum Leser und gleichzeitig Autor einer Erzählung werden, die in monochromen Papieren zu finden ist und sich über Bilder vermittelt, deren Bildhaftigkeit zuallererst und zuletzt ein vorwiegend gedanklicher Prozess ist?

Ein Prozess, in dem die Farbe als größter gemeinsamer Teiler und gleichzeitig kleinstes gemeinsames Vielfaches auftritt. Denn in dem Sinn, in dem die objektive Wahrnehmung einer subjektiven Rezeptionsfolie bedarf, kann die Farbe als perzeptiver Nährboden und Resonanzkörper gleichermaßen gelten. Bild wird Wort wird Farbe wird Wort wird Bild. Eine Endlosschleife in einem synästhetischen Erfahrungsraum.

Es ist schwer, sich den Arbeiten zu nähern ohne dabei die gewisse und nötige Distanz zu verlieren, ohne ins Persönliche abzugleiten und damit einen unter vielen möglichen Zugängen zu definieren, die allesamt doch parallel und synchron geschaltet sind. Paradoxerweise ist es gerade die Narrativität und Offenheit der Arbeiten, die sie so nahbar und dennoch gleichzeitig so schwer greifbar macht.

Silke Bitzer


zur Biographie von Annette Voit